Wissenschaftler haben untersucht, ob Bildung das genetische Risiko von jungen Erwachsenen verändert, gefährlich viel Alkohol zu trinken. Die Antwort ist nein, Bildung beeinflusst jedoch andere Risikofaktoren.
Rund 3,3 Millionen Menschen sterben weltweit jedes Jahr an den Folgen von übermäßigem Alkoholkonsum. Für junge Männer gehört Alkohol sogar zu den häufigsten Todesursachen. Was es ist, das Menschen schon in jungen Jahren dazu bringt, gefährlich viel Alkohol zu trinken?
Vom sozioökonomischen Status weiß man dass er einen großen Einfluss auf die Gesundheit hat. Der Zusammenhang ist sogar so stark, dass Wissenschaftler ihn für eine wesentliche Ursache von Krankheit halten. Menschen mit niedrigem Status leiden nicht nur häufiger an Diabetes, Depressionen und Adipositas, sondern schätzen auch ihren Gesundheitszustand schlechter ein. Bildung ist für den Status maßgeblich, weil er häufig bessere Jobs, ein höheres Einkommen und ein anderes soziales Umfeld zur Folge hat. Aber wirkt sich Bildung auch auf das Trinkverhalten aus? Und wenn ja, woran liegt das? Verändert Bildung den Einfluss der Gene oder der Umwelt? Von beiden Größen weiß man, dass sie großen Einfluss darauf haben, ob jemand zu viel Alkohol trinkt.
Wissenschaftler um Peter Barr von der Virginia Commonwealth University vermuteten, dass Bildung den Einfluss der Gene und der Umwelt gleichermaßen verändert. Bei hoher Bildung, so ihre Hypothese, wäre der Einfluss der Gene besonders hoch, bei niedriger, der von Umweltfaktoren. In einer Studie haben sie das nun überprüft (1).
Finnland ist für diese Fragestellungen besonders gut geeignet. Alkohol ist in dem nördlichen Land verbreitet. Und auch wenn es das Gesetzt erst ab 18 erlaubt, zu trinken, geben ein Drittel der Jugendlichen an, schon einmal betrunken gewesen zu sein, noch bevor sie 13 Jahre alt wurden. Die Wissenschaftler konzentrierten sich zudem auf Zwillinge, da man mit ihrer Hilfe besonders gut zwischen Genen und Umweltfaktoren unterscheiden kann.
Eine Eigenschaft, die vollständig vererbt wird, taucht statistisch gesehen bei eineiigen Zwillingen immer bei beiden Geschwistern auf, bei zweieiigen jedoch nur in der Hälfte aller Fälle. Denn sie teilen sich im Gegensatz zu den genetisch identischen eineiigen Zwillingen nur die Hälfte aller Gene. Und da sie in der Regel zusammen aufwachsen, wirken auf sie viele Einflüsse aus der Umwelt gleichermaßen.
Die Daten der Probanden stammten aus dem finnischen Bevölkerungsregister. Die Wissenschaftler befragten rund 5600 Zwilling. Sie wollten wissen, wie oft sie Alkohol tranken und wie häufig sie betrunken sind. Außerdem wählten die Zwillings-Teilnehmer jene Kategorie aus, die ihren Bildungsstand am besten wiedergab. Die Fragen wurden erstmals im Alter von 12 Jahren gestellt und im Alter von 14 und 17,5 und noch einmal im Alter zwischen 20 und 26 Jahren wiederholt. Doch nicht alle Zwillinge machten so lange mit. An der letzten Befragung nahmen nur noch rund 3400 von ihnen teil. Anschließend wurden die Daten ausgewertet.
„Wir konnten sehen, dass eine geringe Bildung assoziiert war mit einer größeren Menge an Rauschzuständen“, sagt Peter Barr, Erstautor der Studie. Eine höhere Bildung hing dagegen mit einer erhöhten Trinkfrequenz zusammen. Beide Effekte waren jedoch sehr klein. Überrascht hat die Wissenschaftler daher etwas anderes: Anders als angenommen, hatte Bildung gar keinen Einfluss auf die genetischen Risikofaktoren, wohl aber auf die Umwelteinflüsse. Je geringer das Bildungsniveau war, umso mehr Gewicht hatten diese Risikofaktoren. Stieg das Bildungsniveau an, zeigte sich vermehrt der Einfluss der Gene, vor allem bei Männern. Allerdings nicht, weil ihr Einfluss plötzlich größer wurde. „Das genetische Risiko war in allen Bildungsschichten gleich groß“, so Barr. Aber die Umweltfaktoren, die darüber entscheiden können, wie viel und wie oft ein junger Mensch trinkt, nahmen in ihrer Bedeutung ab. Bei einer hohen Bildung, spielten sie fast keine große Rolle mehr. Und dennoch: Insgesamt hatte Bildung nur recht wenig Einfluss darauf, ob die jungen Erwachsenen regelmäßig oder gefährlich viel trinken. Hier scheinen andere Faktoren eine größere Rolle zu spielen, die individuelle Lebensgeschichte etwa. Je mehr schlechte Erfahrungen ein junger Mensch gemacht hat, desto schneller greift er zur Flasche.
Ob die Ergebnisse in Ländern mit größeren sozialen Unterschieden oder in anderen Lebensphasen anders ausfallen, sollen nun weitere Untersuchungen klären.
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Quellen:
1. Barr PB, Salvatore JE, Maes H, Aliev F, Latvala A, Viken R, Rose RJ, Kaprio J, Dick DM. Education and alcohol use: A study of gene-environment interaction in young adulthood. Soc Sci Med. 2016 Jun 22;162:158-167. [PubMed]