Der Zeichner und das Mathe-As

15. Mai 2018

Schneiden Kinder, die gut zeichnen können, später besser in Mathe ab? Hinweise darauf gibt es, und auch auf die Ursachen.

Selbstgemalte Bilder der eigenen Kinder machen vor allem eines: glücklich und stolz. Einige Eltern sehen in den ersten Zeichnungen vielleicht noch einen Hinweis auf die künstlerische Begabung ihrer Kleinen. Das war es aber schon mit der Interpretationsfähigkeit der ersten Zeichnungen. Sollte man meinen.

Wissenschaftler haben in den Zeichnungen, die Vierjährige von Menschen gemacht haben, jedoch noch etwas ganz anderes gefunden, einen Hinweis auf ihre späteren mathematischen Leistungen. Verhaltensgenetiker der Londoner Goldsmith University zeigten (1), dass zwar auch Gene dafür verantwortlich sind, die wirken aber alles andere als exklusiv auf das Matheverständnis. Mit Vier verstehen die meisten Kinder bereits, dass ein Bild einerseits ein Abbild von etwas ist, und andererseits auch etwas eigenes. Bittet man Kinder in diesem Alter, Personen zu zeichnen, sehen die Ergebnisse ganz unterschiedlich aus. Längst nicht jeder hat schon ein Gefühl für Proportionen eines Körpers oder nimmt es ganz genau bei der Anzahl von Fingern und Zehen.

In der Studie wurden die Zeichnungen von 4999 eineiigen Zwillingen und 9581 zweieiigen Zwillingen ausgewertet. Die Tatsache, dass die Kinder in der Studie Zwillinge waren, half den Wissenschaftlern zu untersuchen, welche Rolle die Gene und welche die Umwelt bei den unterschiedlichen Zeichen-Fähigkeiten der Kinder spielten. Denn während eineiige Zwillinge ein nahezu identisches Erbgut besitzen, teilen sich zweieiige Zwillinge nur rund 50 Prozent ihrer Gene. Vergleicht man beide Gruppen in Bezug auf eine Eigenschaft, wie etwa die Fähigkeit eine Person zu zeichnen, kann man sehen, wie wichtig dafür die Gene sind.

Anschließend schauten sich die Wissenschaftler an, wie gut die Kinder in einem Alter von 12 Jahren in Mathematik zurechtkamen. Die Lehrer von mehr als 6000 der Zwillinge hatten dafür ihre Bewertung abgegeben. Das Ergebnis: Vierjährige, die schon gut Menschen zeichnen konnten, schnitten in einem Alter von zwölf Jahren besser ab, als Kinder, die nicht ganz so akkurat zeichnen konnten.

Der Zusammenhang zwischen den Zeichenfähigkeiten und den Matheleistungen wurde bislang vor allem den Genen zugeschrieben. Wie sich nun herausstellte, erklärt das Erbgut zwar zum Teil die Unterschiede in den Fähigkeiten von kleinen Kindern. Eine große Rolle spielen aber auch Einflüsse aus der Umwelt. Außerdem kommen die Forscher nach ihrer Auswertung zu dem Schluss, dass der Zusammenhang zwischen den Zeichenkünsten und der Matheleistung gar nicht so spezifisch ist, wie sie gedacht haben. Die verantwortlichen Gene und Umwelteinflüsse wirken sich auch noch auf andere Faktoren als das Matheverständnis aus wie etwa die Intelligenz.

Den Daten der Forscher zufolge, haben nur etwa 20 Prozent der Gene, die sich sowohl auf die Zeichenfähigkeit wie auch auf das Matheverständnis auswirkten, keinen Einfluss auf die allgemeine Intelligenz. Die Wissenschaftler gehen daher davon aus, dass frühes akkurates Zeichnen vor allem die allgemeine kognitive Kompetenz eines Kindes wiederspiegelt. Dazu passt auch eine andere Beobachtung der Forscher: Wirklich eindeutig war die Verbindung zwischen Matheergebnissen und den ersten Zeichnungen nur, wenn man die Lehrer befragt. Fast 9000 der Zwillinge haben die Wissenschaftler im Alter von zwölf Jahren auch zum Online-Mathetest antreten lassen. Der zuvor beobachtete Zusammenhang löste sich unter diesen Bedingungen nahezu auf. Eine stabile Verbindung zeigte sich nur noch zwischen der Zeichenkunst und allgemeinen kognitiven Fähigkeiten.

Die Studie würde damit die Theorie der „Generalistengene“ unterstützen, die besagt, dass die meisten Gene eher assoziiert sind mit allgemeinen Lernfähigkeiten, als mit spezifischen Fähigkeiten. Gene, die also die Fähigkeit zu zeichnen beeinflussen, wirken sich damit meist auch auf andere Bereiche aus als das Verständnis für Mathe wie etwa allgemeine Intelligenz. „Die Verbindungen zwischen der Korrektheit der Zeichnung, der Mathematischen Fähigkeiten und der generellen Intelligenz könnten aber zum Teil auch mit der motorischen Entwicklung erklärbar sein“, glauben die Autoren. Neuere Forschungen aus der neuronalen Bildgebung ließen vermuten, dass zum Teil überlappende Bereiche der Hirnrinde und darunter liegende Abschnitte mit der Entwicklung sowohl von allgemeinen kognitive Fähigkeiten als auch der Motorik verbunden sind.

Und so bleibt auch in diesem Feld noch viel Raum für Forschung.

Copyright © 2016-2017 Nicole Simon / Paul Enck. Alle Rechte vorbehalten.


Quellen:

  1. Malanchini M, Tosto MG, Garfield V, Dirik A, Czerwik A, Arden R, Malykh S, Kovas Y. Preschool Drawing and School Mathematics: The Nature of the Association. Child Dev. 2016 May;87(3):929-43. doi: 10.1111/cdev.12520. PubMed

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