Krankheiten im Doppelpack

01. Aug 2017

Was haben Migräne und Depressionen gemeinsam? Australische Wissenschaftler haben an Tausenden Zwillingen untersucht, warum beide Krankheiten oft gemeinsam auftreten.

Sie spielen sich vor allem im Kopf ab. Viel mehr Gemeinsamkeiten wird man auf den ersten Blick nicht finden. Zu sehr unterscheiden sich die hämmernden Kopfschmerzen einer Migräne und der bleierne Schleier der Schwermut. Und trotzdem muss es einen Zusammenhang geben. Das glauben Forscher spätestens seit sie bemerkt haben, dass beide Erkrankungen nicht selten zusammen auftreten. Wer an Migräne leidet, entwickelt mit größerer Wahrscheinlichkeit eine Depression als gesunde Menschen. Umgekehrt kann man einen ähnlichen Zusammenhang beobachten. Fast die Hälfte der Menschen mit einer schweren Depression wird zusätzlich von Migräne-Kopfschmerzen gequält.

Wo also liegt die Verbindung? Macht eine der Krankheiten Menschen anfällig für das andere Leiden? Oder sind es vielmehr bestimmte Lebensereignisse oder spezielle Erbgutabschnitte, die einige Menschen verletzlich machen für beide Krankheiten? Schließlich weiß man von beiden Krankheiten, dass es eine genetische Veranlagung gibt. Australische Wissenschaftler haben genau das in der bislang größten Zwillingsstudie zu diesem Thema untersucht (1). Ihr Fazit: Bestimmte Gene könnten die Erkrankungswahrscheinlichkeit für beide Leiden erhöhen.

Mehr als 10.000 Zwillinge im Alter zwischen 18 und 89 Jahren nahmen an der Untersuchung von Forschern um Yuanhao Yang und Dale Nyholt teil. An Zwillingen lässt sich gut untersuchen, welche Rolle die Gene und die Umwelt spielen. Jeder von ihnen stammte aus der Australischen Zwillingskohorte. Zuerst filterten die Wissenschaftler jene heraus, die an einer Depression litten oder gelitten haben und solche mit einer Migräne. In beiden Fällen arbeiteten sie mit speziellen Fragebögen. Am Ende blieben etwas mehr als etwa 2500 eineiige und 2900 zweieiige Zwillingspaare für die Analyse übrig.

Die Vererbbarkeit der Migräne berechneten die Forscher mit 56 Prozent, bei einer Depression lag dies bei 42 Prozent. Das heißt bei der Depression ist der Umwelteinfluss erhöht, bei der Migräne der genetische Einfluss. Das Ergebnis passt zu älteren Studien, denn die kamen zu ähnlichen Ergebnissen.

Anschließend verglichen die Forscher die Zwillinge miteinander. Leiden mehr eineiige als zweieiige Zwillinge unter beiden Krankheiten, spricht das für das Erbgut als Ursache, denn eineiige Zwillinge sind genetisch identisch, zweiieige jedoch nur zu 50 Prozent. Tatsächlich liefern die Unterschiede zwischen den Zwillingsgruppen Hinweise dafür, dass es gemeinsame genetische Pfade gibt, die sowohl das Risiko für eine Depression wie auch einer Migräne erhöhen. Es scheint nicht so zu sein, dass eine Krankheit die Wahrscheinlichkeit für die andere erhöht, schreiben die Wissenschaftler.

Eine US-amerikanische Studie von Forschern um Ellen Schur aus dem Jahr 2010 kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Die US-Forscher gehen davon aus, dass die genetischen Faktoren, die für die Vererbbarkeit der Migräne verantwortlich sind, auch 20 Prozent der Unterschiede bei Depressionen ausmachen (2). Allerdings beobachteten die Forscher den Zusammenhang fast ausschließlich zwischen einer Migräne mit Aura und einer Depression.

Die verantwortlichen Gene kennen Wissenschaftler noch nicht. Sie vermuten jedoch, dass vor allem Erbgutabschnitte verantwortlich sind, die an der Steuerung von Neurotransmittern wie Serotonin, Dopamin oder GABA im Gehirn beteiligt sind. Gelingt es Forschern die beteiligten Gene zu identifizieren, lassen sich in Zukunft vielleicht auch Behandlungsstrategien für beide Krankheiten entwickeln.

Copyright © 2016-2017 Nicole Simon / Paul Enck. Alle Rechte vorbehalten.


Quellen:

1. Yang Y, Zhao H, Heath AC, Madden PA, Martin NG, Nyholt DR. Shared Genetic Factors Underlie Migraine and Depression. Twin Res Hum Genet. 2016 Jun 15:1-10. [PubMed]
2. Schur EA, Noonan C, Buchwald D, Goldberg J, Afari N. A twin study of depression and migraine: evidence for a shared genetic vulnerability. Headache 2009;49:1493-502. [PubMed]


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