Um flüssig zu lesen zu können, müssen Kinder auch verstehen, was vor ihnen steht. Wie eng die beiden Fähigkeiten zusammenhängen, haben nun Forscher aus Florida untersucht.
Kaum jemand wird sich noch daran erinnern, wie es war, Lesen zu lernen. Wie man das erste Mal die Bedeutung von Buchstaben verstanden hat. Hintereinander gereihte Lettern als Worte und Sätze begriffen hat.
Fragt man Forscher, dann entwickeln sich beim Lesen zwei Fähigkeiten. Zuerst verstehen Kinder die Strukturen von Geschriebenen, sie erkennen Regeln und lernen Wörter zu entziffern. Sie lernen, zu lesen. Erst stockend dann immer flüssiger. Zum Lesen gehört jedoch noch etwas anderes. Das Verstehen. Kinder nehmen irgendwann das Wissen aus ihren Geschichten und Büchern auf, sie entwickeln ein Verständnis selbst für komplexe Konzepte und sind in der Lage, Texte inhaltlich zu bewerten. Die Fähigkeit, aus dem Gelesenen den Sinn zu entnehmen, nennt man Leseverständnis. Wie aber hängen diese beiden Lesefähigkeiten zusammen?
Wissenschaftler um die Psychologin Callie W. Little von der Florida State University vermuten nach einer Studie an Hunderten Zwillingen (1), dass sich die Fähigkeit, flüssig zu lesen, auf das Verständnis von Texten auswirkt und umgekehrt. Ihre Ergebnisse sind besonders für Schulen und Lehrer interessant.
Um zu testen, wie die beiden Lesefähigkeiten zusammenhängen mussten die Wissenschaftler beide Eigenschaften gleichzeitig und über einen längeren Zeitraum messen. Rund 1700 Zwillingspaare im Alter zwischen sechs und zehn Jahren haben sie dafür in ihre Studie mit einbezogen und mit unterschiedlichen Methoden untersucht.
Ihre Fähigkeit, zu Lesen, verbesserte sich im Laufe der Schuljahre fortlaufend. Allerdings war die Zunahme in den ersten Jahren größer und verlangsamte sich danach etwas. Am schnellsten lernten dabei jene Schüler, die auch schon mit guten Ausgangs-Qualifikationen in die Schule starteten. Außerdem beobachteten die Wissenschaftler, dass sich der Lesefluss tatsächlich auf das Verständnis auswirkt. Die Forscher halten das flüssige Lesen daher für eine Bedingung, um später das Gelesene auch zu verstehen. Doch auch in die andere Richtung scheint es einen Zusammenhang zu geben. Auch wenn die Verbindung hier nicht so stark ist, scheint sich das Leseverständnis auch auf die Fähigkeit flüssig zu lesen auszuwirken – zumindest in diesen frühen Jahren.
Fördermaßnahmen, die sowohl das flüssige lesen wie auch das Verstehen von Texten unterstützen, könnten daher den größten Erfolg bei Kindern haben, vermuten die Forscher. Viele Trainings fördern bislang jedoch nur den Lesefluss, das Verständnis wird meist kaum berücksichtigt.
Und auch die anderen Ergebnisse der Forscher dürften Schulen interessieren. Die Forscher haben auch untersucht, welche Rolle das Erbgut beim Lesen lernen spielt? In früheren Zwillingsstudien konnten Wissenschaftler zeigen, dass sowohl die Lese-geschwindigkeit wie auch das Leseverständnis in Teilen erblich sind. Die Vererbbarkeit lag zwischen 0,29 - 0,84 und 0,32 - 0,82. Ab einem Wert an 0.45 sprechen Wissenschaftler von einer hohen Vererbbarkeit.
In der Studie von Little und ihren Kollegen waren die Einflüsse aus Erbgut und Umwelt in der ersten Schulklasse für das Leseverständnis die gleichen wie für den Lesefluss. Wie sich die beiden Lesefähigkeiten danach jedoch entwickeln, hängt den Wissenschaftlern zufolge jedoch fast ausschließlich von Umwelteinflüssen ab, die sich die Zwillinge teilen. Dazu gehören vor allem die Familie und die Schule. Die Unterstützung, die Kinder in diesen jungen Jahren aus ihrem Umfeld erfahren, trägt damit maßgeblich dazu bei, wie sich ihre Lesefähigkeiten entwickeln.
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Quellen:
1. Little CW, Hart SA, Quinn JM, Tucker-Drob EM, Taylor J, Schatschneider C. Exploring the Co-Development of Reading Fluency and Reading Comprehension: A Twin Study. Child Dev. 2017 May;88(3):934-935. doi: 10.1111/cdev.12670. PubMed