Forscher haben gezeigt, dass der Einfluss der Gene sich in den ersten Lebensjahren verändert. In der Kindheit sind vor allem andere Faktoren, die sich auf das Gewicht auswirken.
Von Deutschland bis Burkina Fasu: Fast ein Drittel der Weltbevölkerung ist übergewichtig. 2,2 Milliarden Menschen sind es mittlerweile, schätzt das Institute for Health Metrics and Evaluation aus Seattle (IHME) (1). Forscher sprechen schon von einer verstörenden globalen Gesundheitskrise.
Worin aber liegt die Ursache für die stetige Zunahme des Übergewichts in der Bevölkerung? Grundsätzlich gibt es vor allem zwei große Einflussfaktoren: die Umwelt und die Gene. Doch auch deren Einfluss schwankt, wie sich zeigt. Was sich in der Kindheit auf das Gewicht auswirkt, kann später an Einfluss verlieren und umgekehrt. Eine große Gruppe Wissenschaftler um Karri Silventoinen von der University of Helsinky (2) hat nun Hinweise dafür gefunden, dass Umweltfaktoren, die sich Geschwister teilen, nur in der frühen Kindheit eine größere Rolle spielen. In der Jugend nimmt ihr Einfluss ab, dafür wächst die Bedeutung der Gene.
Um das gewaltige Übergewichts-Problem besser zu verstehen, suchen Wissenschaftler heute nicht mehr nur nach einzelnen Genen, die Fettleibigkeit befeuern oder Erfahrungen, die dazu beitragen, dass man sich falsch ernährt. Sie wollen auch herausfinden, wann deren Einfluss am größten ist.
Im Fachblatt The American Journal of Clinical Nutrition haben mehr als hundert Forscher versucht aufzuzeigen, wie sich der Einfluss von Genen und Umwelt auf das Gewicht der Menschen im Verlauf des Lebens verändert. Vor allem die Zeit von der Kindheit bis zum frühen Erwachsenalter interessierte die Wissenschaftler, die Daten von fast 88.000 Zwillingen im Alter zwischen sechs Monaten und 19 Jahren auswerteten. Sie stammen von dutzenden Forschungskohorten aus insgesamt 20 Ländern.
Am Ende sahen die Wissenschaftler eine klare Entwicklung: Je älter die Probanden wurden, umso größer wurde die Bandbreite des gemessenen Body Mass Index (BMI). Im Alter von vier Jahren konnten die Streuungen des BMI am wenigsten durch genetische Effekte erklärt werden. Hier lag die Vererbbarkeit bei nur etwa 0,4 (zur Erklärung: 0 = die Gene spielen keine Rolle, 1 = die Umwelt hat keinen Einfluss). Das änderte sich jedoch mit zunehmendem Alter. Als die Probanden 19 Jahre alt waren, war dieser Wert auf 0,75 geklettert. Wie es scheint, haben Umweltfaktoren, die sich Zwillingsgeschwister teilen, wie etwa das Essen in der Familie, in der Kindheit noch einen recht großen Einfluss auf das Gewicht. Ab dem 15. Lebensjahr jedoch konnten die Wissenschaftler keine Effekte der gemeinsamen Umwelt mehr messen. In dieser Zeit wuchs dagegen der genetische Einfluss.
Welche Gene hier besonders ins Gewicht fallen, können die Wissenschaftler nicht sagen, da es in einer solchen Studie allein um statistische Zusammenhänge geht. Aus der Genetik sind jedoch schon Dutzende Erbgutschnipsel bekannt, die mit Übergewicht in Verbindung stehen. Eines der bekanntesten ist wohl das fat mass and obesity asssociated protein (FTO). Es war eines der ersten Gene, das im Jahr 2007 mit Hilfe der genomweiten Sequenzierung mit Übergewicht in Verbindung gebracht wurde. Der Erbgutabschnitt hat unter allen bekannten Kandidatengenen vermutlich den größten Einfluss auf den Unterschied der BMIs zwischen den Menschen.
Die Forscher machen in ihrer Arbeit jedoch ausdrücklich klar, dass trotzdem auch in höherem Alter das Gesundheitsverhalten wichtig ist. Viele der Gene, um die es hier geht, würden sich schließlich nicht direkt auf das Gewicht auswirken, sondern beeinflussen zum Beispiel die Nahrungsaufnahme und andere Verhaltensweisen. Und auf die kann man auch mit einer genetischen Vorbelastung durchaus Einfluss nehmen. Varianten des FTO-Gens beispielsweise beeinflussen die Fähigkeit der Selbstregulation und die Art zu Essen. So machen sie es den Trägern oft schwer aber nicht unmöglich, schlank zu bleiben.
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