Was ist dran an dem Gerücht um den Kaiserschnitt? Eine Zwillingsstudie zeigt: Für Asthma muss es andere Gründe geben.
Fast jede dritte Frau entbindet heute per Kaiserschnitt. Ursachen dafür gibt es viele. Die Gebärenden werden immer älter, Geburten sind wegen Vorerkrankungen der Schwangeren immer häufiger mit Risiken behaftet, außerdem sind die Eingriffe immer sicherer geworden und gut planbar, was vor allem die Kliniken freut. Und so gibt es viele Frauen, die sich heute auch ohne zwingende Gründe bewusst für eine Kaiserschnittgeburt entscheiden, trotz des immer noch damit verbundenen Risikos für Schmerzen, Wundheilungsstörungen, Infektionen, Verwachsungen oder Komplikationen bei den folgenden Schwangerschaften. Hinzu kommen Warnungen vor den Langzeitfolgen der Sectio. Dabei geht es auch um ein erhöhtes Asthma-Risiko. Kann der Kaiserschnitt zu der chronischen Atemwegserkrankung führen?
Eine dänische Studie an Zwillingen (1) gibt nun etwas Entwarnung. Rechnerisch lässt sich der Zusammenhang zwischen Kaiserschnitt und Asthma zwar nicht wegdiskutieren. Studien haben immer wieder gezeigt, dass Kindern, die per Kaiserschnitt das Licht der Welt erblickten, später etwas häufiger an Asthma erkranken, als solche, die natürlich, also durch den Geburtskanal, zur Welt gekommen sind. Ein Team um Astrid Sevelsted etwa untersuchte für eine der größten Studien dieser Art (2) die Daten von 1,9 Millionen dänischen Kindern der Jahrgänge 1977 bis 2012, die zum errechneten Geburtstermin auf die Welt gekommenen waren. Die Forscher verfolgten deren Werdegang von der Geburt bis zu einem Alter von 15 Jahren. Die Gefahr, später ein Asthma zu entwickeln, war bei Kindern, die mit einer Sectio geholt wurden, um 23 Prozent höher.
Aber ist diese Verbindung auch „echt“? Oder sind für dieses Ergebnis ganz andere Faktoren verantwortlich. Um das zu untersuchen, konzentrierten sich die Forscher um Nis Brix (1) nun auf Zwillingspaare, von denen der erste auf natürlichem Weg geboren wurde und der zweite mit einem Notfallkaiserschnitt. 464 solcher Zwillingspaare (bei insgesamt 42.628 Zwillingsgeburten) haben die Forscher gefunden, also etwa 1% aller Zwillingsgeburten. 72 Zwillinge litten an Asthma. 30 von ihnen wurden auf normalem Weg geboren, 20 mit einem Notkaiserschnitt geholt; die Geschwister blieben in beiden Versionen gesund. Bei 11 Geschwisterpaaren entwickelten beide Zwillinge eine Asthmaerkrankung. Als die Wissenschaftler Faktoren berücksichtigten, die das Ergebnis beeinflussen könnten, wie etwa das Geburtsgewicht, das Geschlecht oder die Notwendigkeit einer Beatmung, gab es keinen Unterschied mehr in der Krankheitshäufigkeit zwischen den beiden Geburts-Gruppen. Zwar ist diese Studie nicht groß, doch sie lässt vermuten, dass für die Zusammenhänge, die in anderen Studien gemessen wurden, andere Faktoren als der Kaiserschnitt verantwortlich sind.
Zu einem ähnlichen Schluss kommt die Kinderärztin Catarina Almqvist von der Astrid Lindgren Kinderklinik in Stockholm (3). Sie verglich die Daten von 87.000 Geschwisterpaaren, die alle mit einem Kaiserschnitt zur Welt kamen. Anders als in der Studie oben, war das Asthmarisiko nur bei Kindern mit einem Notkaiserschnitt nach einer ungünstig verlaufenden natürlichen Geburt erhöht, nicht jedoch nach einem freiwilligen Kaiserschnitt, der geplant unternommen wurde. Zu einem ähnlichen Ergebnis Vermutung war 2008 auch Mette Tollanes 2008 gekommen (4). Auch diese Untersuchungen sprechen eher dafür, dass andere Faktoren wie etwa Erkrankungen der Mutter das Risiko des Kindes erhöhten und nicht der Kaiserschnitt selbst.
Vor allem aber entkräften die Studien die Annahme, dass ein Kaiserschnitt die Bakterienbesiedlung der Säuglinge so verändert, dass sie später mit größerer Wahrscheinlichkeit an Asthma erkranken. Wissenschaftler hatten in den vergangenen Jahren vermutet, dass ein verändertes Bakterienspektrum nach einem Kaiserschnitt für die höheren Asthma-Raten verantwortlich sein könnte. Warum? Weil ein Baby während es den Geburtskanal passiert, mit den dort lebenden Bakterien seiner Mutter besiedelt wird. Bei einem Kaiserschnitt dagegen ist das Baby dagegen zuallererst den Hautkeimen des OP-Personals und der Mutter ausgesetzt sowie den Keimen des OP-Saales. Die Zusammensetzung der Bakterien zwischen so unterschiedlich zur Welt gekommenen Kindern unterscheidet sich in den ersten drei Monaten deshalb ganz deutlich, aber danach gleichen sie sich an (5). Außerdem weiß man, dass Bakterien das Immunsystem trainieren. Für die Entwicklung von Asthma scheinen die Unterschiede nach diesen Studien jedoch nicht verantwortlich zu sein. Für eine abschließende Antwort braucht es jedoch noch deutlich mehr Untersuchungen.
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Quellen:
1. Brix N, Stokholm L, Jonsdottir F, Kristensen K, Secher NJ. Comparable risk of childhood asthma after vaginal delivery and emergency caesarean section. Dan Med J. 2017;64(1): A5313. PubMed
2. Sevelsted A, Stokholm J, Bønnelykke K, Bisgaard H. Cesarean section and chronic immune disorders. Pediatrics. 2015;135(1):e92-8. doi: 10.1542/peds.2014-0596. PubMed
3. Almqvist C, Cnattingius S, Lichtenstein P, Lundholm C. The impact of birth mode of delivery on childhood asthma and allergic diseases--a sibling study. ClinExp Allergy. 2012;42(9):1369-76. doi: 10.1111/j.1365-2222.2012.04021.x. PubMed
4. Tollånes MC, Moster D, Daltveit AK, Irgens LM.Cesarean section and risk of severe childhood asthma: a population-based cohort study. J Pediatr. 2008;153(1):112-6. doi: 10.1016/j.jpeds.2008.01.029. PubMed
5. Rutayisire E, Huang K, Liu Y, Tao F. The mode of delivery affects the diversity and colonization pattern of the gut microbiota during the first year of infants' life: a systematic review. BMC Gastroenterol. 2016;16(1):86. doi:10.1186/s12876-016-0498-0. PubMed