Wissenschaftler haben untersucht, warum oft nur ein der beiden eineiiger Zwillinge an Multipler Sklerose erkrankt, während sein Zwillingsgeschwister verschont bleibt.
Eineiige Zwillinge sehen gleich aus, sie haben die gleichen Gene, die gleiche Blutgruppe, die gleichen Fingerabdrücke – aber nicht immer die gleichen Krankheiten - man spricht dann von Diskordanz. Ist ein Zwilling zum Beispiel an Multipler Sklerose erkrankt, einer chronischen, nicht heilbaren Erkrankung des zentralen Nervensystems, so entwickelt nur einer von vier Zwillingsgeschwistern das gleiche Leiden. Wie kann das sein?
Antworten darauf fanden Forscher aus München und Saarbrücken nun im Bereich der Epigenetik, einem körpereigenen Mechanismus, der ausgelöst durch Umwelteinflüsse Gene ein- oder ausschalten kann, ohne das Erbgut direkt zu verändern. Die Wissenschaftler bemerkten (1) dass Multiple Sklerose mit bestimmten Modifikationen des Erbguts einhergeht und Medikamente diese beeinflussen.
Eine der wichtigen epigenetischen Veränderungen ist die chemische Markierung des Erbgutes – genauer gesagt einem Baustein davon, dem Cytosin. An das Cytosin werden Methylgruppen geheftet, ein Kohlenstoffatom mit drei Wasserstoffatomen. Diese Methyl-Gruppen können Gene ein- und ausschalten. Körperliche Aktivität, Ernährung, Stress aber auch zwischenmenschliche Beziehungen und soziale Faktoren prägen mit diesem Mechanismus das Erbgut. Das Besondere daran ist, dass diese Markierungen nicht unveränderlich sind. So kann die Umwelt je nach Situation auf die Erbanlagen wirken, ohne dabei die Gene selbst abzuändern.
Mitunter kann eine neu gesetzte Methylierung jedoch auch zu einer falschen Steuerung von Genen führen. Passiert das in bestimmten Immunzellen, könnte das zu einer MS-Erkrankung beitragen, so die anfängliche Hypothese der Forscher um Nicole Souren vor ihrer Untersuchung. Da dieser Effekt in eineiigen Zwillingspaaren besonders gut messbar ist, rekrutierten die Wissenschaftler aus München und Saarbrücken 45 von ihnen. Von diesen 90 Personen erstellten sie anschließend DNA-Methylierungsprofile über das gesamte Genom hinweg. Insgesamt untersuchten sie 850.000 Positionen auf solche DNA-Methylierungen.
Tatsächlich fanden sie in den Immunzellen des Blutes der Zwillinge eine Reihe epigenetischer Unterschiede. An insgesamt sieben verschiedenen Positionen war das Genom der beider Zwillingsgeschwister unterschiedlich methyliert. An 45 weiteren Stellen traten Veränderungen auf, die keinen Bezug zur MS-Krankheit haben. Ein paar der epigenetischen Veränderungen liegen außerdem in Genen, deren Bedeutung für MS noch nicht bekannt war. Hier hoffen die Forscher in Zukunft neue Hinweise auf die Auslöser der Multipler Sklerose zu finden.
„Interessanterweise konnte man beobachten, dass einige epigenetische Veränderungen sich durch die Gabe von Medikamenten weiter verändern. Zu den Standarttherapie für Menschen mit Multipler Sklerose gehören Interferone, weil sie die Entzündungsaktivität im Zentralen Nervensystem reduzieren und Glukokortikoide, die vor allem bei einem akuten Krankheitsschub eingesetzt werden.
Ein Beispiel für eine solche Veränderung ist der Transkriptionsfaktor ZBTB16; Transkriptionsfaktoren helfen, die Herstellung von Proteinen aus den Informationen der Erbinformation einzuleiten. Er ist unter einer Glukokortikoid-Therapie kaum methyliert und dabei hochreguliert. Einige solcher Umbauten waren bis zu einem Jahr nach Absetzen der Medikamente noch nachweisbar. „Dies zeigt erstmals einen Zusammenhang zwischen epigenetischen Mustern, Krankheit und Therapie“, schlussfolgern die Wissenschaftler.
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