Ist Misstrauen das Gegenteil von Vertrauen? Nein, sagen amerikanische Forscher. Beide Gefühle haben ihre eigene Entstehungsgeschichte und nur eines wird durch die Gene beeinflusst.
Gehört hat sie jeder schon einmal, diese innere Stimme, die uns vor jemandem warnt. Wir misstrauen einer Person, ohne sie gut zu kennen. Woher aber kommt dieses Gefühl? Ist Misstrauen vielleicht eine Art angeborener Sensor? Von Vertrauen vermutet die Wissenschaft schließlich schon länger, dass es zumindest in Teilen genetisch geprägt ist. Da liegt es nahe, das auch von Misstrauen anzunehmen. Dass beide Gefühle jedoch weit weniger eng zusammenhängen, als man denkt, konnten nun amerikanische Wissenschaftler zeigen (1).
Für ihre Studie untersuchten Forscher um Martin Reimann von der University of Arizona mehr als 500 weibliche Zwillinge, 324 eineiige und 210 zweieiige. Während eineiige Zwillingspaare genetisch fast vollkommen identisch sind, stimmt das Erbgut von zweieiigen Paaren nur zu etwa 50 Prozent überein. Der Vergleich dieser beiden Gruppen hilft Wissenschaftlern dabei, drei Dinge zu verstehen: 1. Den Einfluss der Gene, 2. Die Auswirkungen von Erfahrungen und Erlebnissen, die beide Zwillinge gemacht haben und 3. Die Rolle der individuellen Erfahrungen und Erlebnisse.
Dafür mussten die Zwillinge bei einem Geld-Spiel antreten. In der ersten Version sollten sie entscheiden, wie viel von dem Geld, dass man ihnen zur Verfügung gestellt hatte, sie einem anderen Probanden zukommen lassen wollten. Auf diese Weise wollen die Wissenschaftler herausfinden, wie sehr die Zwillinge einem anderen Menschen vertrauen. In einer zweiten Spielvariante ging es darum einem anderen Teilnehmer beliebig viel von seinem Geld wegzunehmen (als Maß für Misstrauen).
Wie zu erwarten, zeigte sich beim Vergleich der Gruppen, dass sich eineiige Pärchen beim Vertrauensspiel sehr viel ähnlicher verhielten als die zweieiigen Pärchen. In der Misstrauensvariante konnten die Forscher jedoch keine solche Häufung feststellen. Die Wissenschaftler folgern daraus, dass die Gene bei Misstrauen keine Rolle spielen. Die Erblichkeit für Vertrauen berechneten sie dagegen mit 30 Prozent, das heißt die beobachteten Vertrauensunterschiede lassen sich in dieser Studie zu etwa 30 Prozent durch die Gene erklären.
Auch für die anderen Faktoren berechneten die Forscher Zahlenverhältnisse. Erfahrungen und Erlebnisse, die beide Zwillinge gemacht haben scheinen sich mit 19 Prozent auf die Misstrauensergebnisse auszuwirken, nicht aber auf das unterschiedliche Maß an Vertrauen, das die Probanden gezeigt haben.
Individuelle Erfahrungen jedoch, das zeigt die Studie, sind sowohl für Vertrauen (70 Prozent) wie auch Misstrauen (81 Prozent) der mit Abstand wichtigste Einflussfaktor. Das bedeutet auch, dass sich Vertrauen und Misstrauen wahrscheinlich nicht nur auf Erfahrungen der ersten Lebensjahre gründen, sondern sich auch später entwickeln. Denn prägende individuelle Erfahrungen werden oft erst in späteren Jahren gemacht, wenn die Zwillinge nicht mehr zusammenwohnen.
Ob sich die einzelnen Zahlen in weiteren Studien bestätigen, muss sich erst noch zeigen. Die Grundtendenz jedoch scheint klar: Vertrauen und Misstrauen scheinen zwei getrennte Eigenschaften mit einer zum Teil unterschiedlichen Entstehungsgeschichte zu sein. Während beide Empfindungen vor allem durch Erfahrungen geprägt werden, mischen bei Vertrauen auch die Gene mit.
Die Forscher plädieren dazu, nun zu untersuchen, welche Erfahrungen es sind, die darüber entscheiden, ob ein Mensch sehr misstrauisch anderen gegenüber ist. Negative Erfahrungen könnten zum Beispiel Gewalt durch Eltern, Mobbing in der Schule oder Enttäuschungen im Freundeskreis sein.
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