Sind wir Gene oder Umwelt?

01. Jun 2017

Niederländische Wissenschaftler haben mit der bislang größten Zwillingsstudie gezeigt, wie wir werden was wir sind. 

Ist es das Erbgut, was uns prägt oder die Umwelt? Kaum eine Frage hat die Wissenschaft seit Darwin so sehr beschäftigt. Vor allem die frühen Genetiker sahen die Menschen als Marionetten, die an den Fäden ihrer Gene hängen. Psychologen und Soziologen hielten dagegen und schworen auf den Einfluss von Erziehung und Erfahrungen. Mittlerweile ist klar, dass es kein entweder oder gibt, weder bei Größe, Gewicht, Intelligenz oder dem Umgang mit anderen Menschen. Gerungen wird trotzdem noch, und zwar um die Verteilung.

Bis jetzt, könnte es nun heißen. Denn Wissenschaftler haben in der größten Zwillingsstudie, die je gemacht wurde, die Daten von 14,5 Millionen Zwillingspaaren aus 39 Ländern ausgewertet (1). Die Forscher um die statistische Genetikerin Danielle Posthuma schauten sich dafür 2.748 Zwillingsstudien an – alle Untersuchungen mit Zwillingen, die zwischen 1958 und 2012 veröffentlicht wurden. Rund 17.000 menschliche Merkmale wurden darin erforscht, nicht nur biologische Eigenschaften wie Größe, Gewicht oder Stoffwechsel, sondern auch psychologische.

Ihr Ergebnis: die Unterschiede zwischen den Menschen sind durchschnittlich zu 50 Prozent vererbt. Eigenschaften können niemals nur durch äußere Faktoren erklärt werden, auch wenn die Anteile von Umwelt und Erbgut sich bei den einzelnen Merkmalen stark unterscheiden. Tatsächlich fanden die Wissenschaftler von der Vrije-Universität in Amsterdam in ihrer Metaanalyse kein einziges Merkmal, bei deren Ausprägung Gene gar keine Rolle spielten. Selbst bei der Frage, wie intensiv die Studienteilnehmer ihre Religion ausübten, schien Vererbung mitzuspielen. Auch ist man zum Beispiel lange davon ausgegangen, dass eine schlechte Erziehung für unsoziales Verhalten bei einem Kind verantwortlich ist. Die Studien jedoch zeigen, dass die Gene eine ebenso große Rolle dabei spielen.

Selbst ob jemand raucht, wird zum Teil durch die Gene beeinflusst. Trotzdem lässt sich ungesundes Verhalten nicht einfach auf das Erbgut schieben. Auch wenn eine solche Eigenschaft zu 100 Prozent vererbt werden würde, hieße das nicht, dass man keinen Einfluss darauf hätte.

Die Studie zeigte zudem, dass bei 2/3 der untersuchten Eigenschaften die Ähnlichkeit zwischen eineiigen Zwillingen – deren Erbgut zu rund 100 Prozent übereinstimmt – exakt doppelt so groß ist wie bei zweieiigen, die sich rund 50 Prozent der Gene teilen. Das bedeutet, dass sich die Auswirkungen der Gene scheinbar einfach addieren. Überraschend fanden die Forscher jedoch noch etwas anderes: Bestimmte Themen sind bei Wissenschaftlern besonders beliebt. Zu Verhaltensstörungen, Intelligenz oder Alkoholkonsum gibt es hunderte Veröffentlichungen. Für neue Zwillingsstudien sollten sich die Forscher daher besser Eigenschaften vornehmen, die noch nicht im Detail untersucht wurden, wie Multiple Sklerose etwa, Epilepsie oder die Parkinson Krankheit, sagt Posthuma in der Pressemitteilung der Universität.

Um anderen Forscher zu zeigen, wie es um den Einfluss von Erbgut und Umwelt bei den einzelnen Merkmalen gestellt ist, haben die Wissenschaftler ein Webtool (2) eingerichtet. Dort kann man sich auch anschauen, wie gut einige Eigenschaften schon untersucht sind und wo es noch Forschungsbedarf gibt.

Copyright © 2016-2017 Nicole Simon / Paul Enck. Alle Rechte vorbehalten.


Quellen:

1. Polderman TJ, Benyamin B, de Leeuw CA, Sullivan PF, van Bochoven A, Visscher PM, Posthuma D. Meta-analysis of the heritability of human traits based on fifty  years of twin studies. Nat Genet. 2015;47:702-9. [PubMed]

2. http://match.ctglab.nl/#/home


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