Erbgut oder Umwelt: Warum erholt sich der Herzschlag bei einigen Menschen nach dem Sport schneller als bei anderen? Die Lösung haben Wissenschaftler gefunden als sie Zwillinge zum Schwitzen gebracht haben.
Das Herz schlägt rund um die Uhr, ein Leben lang. Immerzu pumpt es Blut in den Körper und versorgt Organe und Gewebe mit Sauerstoff und Nahrung. Wie schnell es dabei arbeitet, hängt auch davon ab, was man gerade tut. Es schlägt langsam, wenn man schläft. Beginnt man jedoch zu laufen, dann steigt der Takt, beginnt manchmal regelrecht zu galoppieren. Denn jetzt benötigen die Muskeln besonders viel sauerstoffreiches Blut. Um nach der Anstrengung wieder zur Ruhe zu kommen, braucht das Herz etwas Zeit. Diese Spanne nennt man Heart Rate Recovery (HRR) oder Erholungs-Herzfrequenz.
Verantwortlich für die einkehrende Ruhe im Muskel ist vor allem der Vagusnerv. Er wird auch Erholungsnerv genannt, weil er in der Lage ist, die Herzfrequenz zu senken und in Ruhezeiten niedrig zu halten. Normalerweise beruhigt sich der Herzschlag von Menschen schneller, die sich viel bewegen. Das Herz eines Olympioniken wird nach einem 100 Meter Sprint daher sehr viel früher wieder gemächlich schlagen, als das untrainierte Herz eines Menschen, der nur ungern ins Schwitzen kommt. Doch auch zwischen Sportlern, gut und weniger gut trainierten, Gelegenheitsläufern und Sportmuffeln gibt es Unterschiede.
Für genau diese Abweichungen interessierte sich eine Gruppe von Forschern aus den Niederlanden, als sie Hunderte Zwillinge zum Sporttest antreten ließ. In ihrer Studie konnten Ineke Nederend und ihre Kollegen zeigen (1), dass sich die individuellen Unterschiede in der Erholungs-Herzfrequenz und der Erholungsreaktion des Vagus zu großen Teilen durch das Erbgut erklären lassen.
Die Herzfrequenz ist für die Wissenschaft so wichtig, weil sie Einfluss auf die Gesundheit hat. Studien haben nicht nur gezeigt, dass eine niedrige Herzfrequenz in Ruhe mit einer niedrigen Sterblichkeit einhergeht. Auch wenn sich der Herzschlag direkt nach einer Belastung besonders schnell wieder beruhig, schützt das statistisch vor einem verfrühten Tod, vor allem bei Menschen über 45 Jahren.
Vor allem zwei Gruppen von Faktoren kommen als Ursache für die individuellen Abweichungen der HRR infrage. Das Erbgut und Umweltfaktoren. Zu den Faktoren aus der Umwelt zählen solche, die sich alle Familienmitglieder teilen wie der Wohnort. Es gibt aber auch individuelle Umweltfaktoren: Wenn etwa nur ein Kind in der Familie morgens mit dem Fahrrad zur Schule fährt, unterscheidet es sich in diesem Punkt von seinen Geschwistern, obwohl alle zusammen aufwachsen. Mit Zwillingsstudien können Wissenschaftler herausfinden, welche dieser Faktoren den größten Einfluss haben und welche weniger wichtig sind.
Wenn die Ähnlichkeiten der HRR zwischen eineiigen Zwillingen größer sind als zwischen zweieiigen, spricht das für einen großen Einfluss der Gene, schreiben die Forscher in ihrer Veröffentlichung. Denn während sich das Erbgut zwischen eineiigen Zwillingen so gut wie nicht unterscheidet, teilen sich zweieiige Zwillinge nur die Hälfte ihrer genetischen Ausstattung. Gibt es dagegen auch zwischen den zweieiigen Zwillingspaaren kaum einen Unterschied, dann haben die gemeinsamen, familiären Faktoren den größten Einfluss.
491 Zwillinge zwischen 16 und 18 Jahren und 37 Geschwister der Zwillinge nahmen an ihrer Studie teil. Alle haben Fragen zu ihrem Bewegungsverhalten beantwortet. Was für Sport machten sie? Seit wann? Wie lange und wie häufig? Die Wissenschaftler berechneten daraus anschließend ein Punkte-System den MET-Score (metabolic equivalent task).
Anschließend trampelten die Zwillinge bis zur Erschöpfung auf dem Fahrradergometer. Die Forscher notierten sich die Erholungsherzfrequenz nach 60 Sekunden und nach drei Minuten. Um den Einfluss des Vagus zu untersuchen, maßen die Forscher außerdem die sogenannte Respiratorische Sinusarrhythmie. Das ist nichts anderes als Frequenz-schwankung des Herzschlags, die durch die Atmung verursacht wird. Atmet man ein, steigt der Takt an, atmet man aus, sinkt er wieder. Vermittelt wird diese Verbindung durch den Vagus.
Als die Wissenschaftler die Daten schließlich auswerteten, konnten sie tatsächlich einen großen Einfluss der Gene sehen. Für die Unterschiede im Bewegungsverhalten berechneten die Forscher eine Erblichkeit von 80 Prozent. Sie hängen damit zu großen Teilen von den Genen ab. Für Herzfrequenz in Ruhe kam ein Wert von 68 Prozent heraus, 60 Prozent für die HRR nach 60 Sekunden und 65 Prozent für die HRR nach drei Minuten. Die Erblichkeit der Respiratorischen Sinusarrhythmie in Ruhe berechneten sie mit 58 Prozent, die der RSA nach 60 Sekunden dagegen nur noch mit 23 Prozent. Der Rest ließe sich vor allem über individuelle Umweltfaktoren erklären, so die Forscher.
Und noch etwas konnten die Wissenschaftler sehen: Wahrscheinlich sind unterschiedliche Bereiche im Erbgut verantwortlich für die grundsätzliche Kontrolle des Vagus über die Herzfrequenz und die erste Erholung nach einer Anstrengung.
Copyright © 2016-2017 Nicole Simon / Paul Enck. Alle Rechte vorbehalten.
Quellen:
1. Nederend I, Schutte NM, Bartels M, Ten Harkel AD, de Geus EJ. Heritability of heart rate recovery and vagal rebound after exercise. Eur J Appl Physiol 2016;116:2167-2176. [PubMed]