Auch die Gene entscheiden, ob Schmerzen bleiben

15. Mrz 2018

Warum bekommen einige Menschen chronisch gewordene Schmerzen in den Griff, und andere quälen sich auch nach Jahren noch? Eine Zwillingsstudie liefert nun mögliche Erklärungen.

Die Zahlen sind überwältigend: 85 Prozent der Deutschen leiden mindestens einmal im Leben unter Rückenschmerzen. In den meisten Fällen verschwindet das Leid nach vier bis sechs Wochen wieder, doch bei einigen bleibt der Schmerz obwohl die Ursache längst vergessen ist. Der Schmerz hat sich verselbstständigt. Doch auch bei diesen Menschen gibt es zwei unterschiedliche Verläufe. Einige bekommen den Schmerz irgendwann doch in den Griff, andere haben damit dauerhaft große Probleme. Woran liegt das? Von ein paar wenigen Faktoren weiß man, dass sie sich negativ auswirken. Frühere Episoden mit Rückenschmerzen etwa oder eine längere Dauer der Symptome. Aber wie wirken sich zum Beispiel die Gene und das familiäre Umfeld auf die Genesung von Menschen mit chronischen Rückenschmerzen aus?

Forscher um Joshua Robert Zadro von der Univerity of Sydney, Australien glauben nach einer Untersuchung (1), dass auch diese Faktoren eine Rolle spielen. Die Wissenschaftler ließen sich von 455 spanischen Zwillingen, die zwischen 1940 und 1966 geboren wurden, von ihren Rückenschmerzen berichten. Zu Beginn der Studie hatten alle Zwillinge angegeben, dass sie innerhalb der vergangenen zwei Jahre unter chronischen Schmerzen des unteren Rückens gelitten hatten. Nach zwei Jahren wurden sie erneut befragt.

Fast 45 Prozent der Zwillinge berichteten auch jetzt von Rückenschmerzen. Sie waren ihre Schmerzen also nicht losgeworden. Die Chance auf Genesung war der Studie zufolge besonders klein, wenn auch ihre Geschwister-Zwillinge betroffen waren. Der Zusammenhang zeigte sich jedoch nur unter den eineiigen Zwillingen. Hatten zu Beginn der Studie beide Erfahrungen mit chronischen Rückenschmerzen, stieg die Wahrscheinlichkeit, auch nach etwa zwei Jahren immer noch oder wieder an den Schmerzen zu leiden, um 50 Prozent. Schauten sich die Wissenschaftler dagegen nur die zweieiigen Zwillinge an, verschwand dieser Zusammenhang. Die Erklärung dafür liegt wahrscheinlich in den Genen, schlussfolgern die Forscher. Denn eineiige Zwillinge besitzen ein nahezu identisches Erbgut, während das von zweieiigen nur zu etwa 50 Prozent übereinstimmt.

In früheren Studien hatten Wissenschaftler bereits beobachtet, dass die Gene Einfluss auf die Entstehung von chronischen Rückenschmerzen haben. In der australischen Twin Low Back Pain (AUTBACK)-Studie (2) etwa untersuchten Daniela Junqueira von der Universität in Sydney und ihre Kollegen den Zusammenhang vor zwei Jahren an 105 mono- und dizygoten Zwillingspaaren: Gab ein Zwilling chronische Kreuzschmerzen an, hatte meist auch der andere Zwilling Beschwerden im unteren Rücken, wobei die Wahrscheinlichkeit, dass beide Zwillinge gleichermaßen geplagt waren, bei eineiigen Zwillingen fünfmal so hoch war wie bei dizygoten Zwillingen. Die Wissenschaftler berechneten die Vererbbarkeit der Rückenschmerzen damals mit 32 Prozent.

Die aktuelle Studie spricht dafür, dass sie die Gene auch auf die Genesung der Menschen auswirken. Die Forscher wünschen sich daher, dass in weiteren Studien nun nach Genen gefahndet wird, die für dieses Ergebnis verantwortlich sind. Sie glauben jedoch, dass zusätzlich auch noch andere Faktoren erklären könnten, warum die Verbindung bei eineiigen Zwillingen so stark war: „Eineiige Zwillinge besitzen eine stärkere Verbindung als zweieiige Zwillinge“, schreiben die Autoren in ihrer Veröffentlichung.

Gleichzeitig weiß man, dass negative Vorstellungen von chronischen Schmerzen mit größeren Beschwerden und Einschränkungen im Zusammenhang stehen. Vielleicht also trägt auch eine gemeinsame Einstellung der Erkrankung gegenüber dazu bei, dass eineiige Zwillingen häufiger gemeinsam betroffen sind. Ob an dieser These etwas dran ist, gilt es erst noch zu zeigen.

Copyright © 2016-2017 Nicole Simon / Paul Enck. Alle Rechte vorbehalten.


Quellen:

1. Zadro JR, Shirley D, Sanchez-Romera JF, Ordoñana JR, Ferreira PH. Does Familial Aggregation of Chronic Low Back Pain Impact on Recovery? A Population-Based Twin Study. Spine (Phila Pa 1976). 2017 Sept 1;42(17):1295-1301. doi: 10.1097/BRS.0000000000002075. PubMed
2. Junqueira DR, Ferreira ML, Refshauge K, Maher CG, Hopper JL, Hancock M, Carvalho MG, Ferreira PH. Heritability and lifestyle factors in chronic low back pain: results of the Australian twin low back pain study (The AUTBACK study). Eur J Pain. 2014 Nov;18(10):1410-8. doi: 10.1002/ejp.506. PubMed


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