Der Apfel fällt oft nicht weit vom Stamm, aber gilt das auch für Kreativität? Forscher haben untersucht, welche Rolle die Vererbung bei kreativen Berufen spielt – mit recht eindeutigem Ergebnis.
Viele Kinder von Schauspielern, Autoren oder Künstlern treten in die Fußstapfen der Eltern und suchen sich einen kreativen Job. In manchen Familien zeigen sich diese Muster über viele Generationen. Ist das alles eine Frage der Erziehung und der Vorbilder oder sind es die Gene, die diesen Lebensweg ebnen? Schließlich geht es bei Kreativität doch auch um Talent und Temperament, beides Eigenschaften, die auch durch das Erbgut beeinflusst werden. Die wissenschaftliche Zeitschrift Behavior Genetics hat nun eine Vererbungsstudie (1) veröffentlicht, die zeigt, dass ein kreativer Beruf auch in der DNA verankert sein könnte.
Mark Roeling und seine Kollegen in Oxford und an der Vrije Universität Amsterdam durchforsteten die Daten des niederländischen Zwillingsregisters. Die Datenbank enthält Informationen zu mehreren tausend eineiigen und zweieiigen Zwillingen, unter anderem auch zu ihrem Beruf. Als künstlerisch werteten die Wissenschaftler alles, was mit Tanz, Film, Musik, Theater, bildenden Künsten oder Schreiben zu tun hatte.
Insgesamt 233 Zwillinge fielen in diese Kategorie. Die Frage, die Roeling und seine Kollegen interessierte, war: Wenn ein Zwilling in einem kreativen Beruf arbeitet, wie wahrscheinlich ist es, dass der andere etwas Ähnliches macht? Wenn die Antwort für alle Zwillinge, die gleiche ist, dann spielen die Gene bei der kreativen Berufswahl keine Rolle. Sind jedoch unter den eineiigen Zwillingspaaren, deren Erbgut im Gegensatz zu zweieiigen nahezu identisch ist, besonders viele Künstler, Filmemacher und Autoren, dann zeigt das den Einfluss des Erbguts.
Tatsächlich fanden die Forscher unter den eineiigen Zwillingsgeschwistern mehr Künstler. Hatte ein eineiiger Zwilling einen kreativen Beruf, so gab es eine 68-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass auch sein Zwillingsbruder oder seine Zwillingsschwester in einem ähnlichen Beruf arbeitete. Bei den zweieiigen Zwillingen lag die Wahrscheinlichkeit dagegen nur bei 40 Prozent. Nachdem die Wissenschaftler in ihre Berechnungen auch die Daten von normalen Geschwistern aufnahmen, berechneten sie die Erblichkeit insgesamt mit 0,7. In anderen Worten: Wenn einige der Teilnehmer der Studie in einem kreativen Beruf arbeiten und andere nicht, dann sind 70 Prozent dieser Unterschiede auf die Gene zurückzuführen.
Die Anzahl der Zwillinge in der Studie war jedoch nicht besonders groß, lohnt es sich zusätzlich auf andere Untersuchungen zu schauen, die zu diesem Thema erschienen sind. Anna Vinkhuyzen etwa fand bei einer Auswertung (2) des gleichen Zwillingsregisters eine hohe Erblichkeit beim kreativen Schreiben (0,83) aber deutlich kleinere Werte in der Kategorie Kunst (0,26). Erst ab einem Wert von 0.4 spricht man von einer hohen Erblichkeit. Christian Kandler der Universität des Saarlandes fand hohe Werte bei einer deutschen Zwillings-Datenbank nur bei der Selbsteinschätzung der Teilnehmer. Wurde die kreative Ader mit Tests untersucht, sank der Wert auf 0,26 (3).
Das könnte bedeuten, dass sich die Gene nicht in erster Linie auf die eigentliche Kreativität auswirken, sondern vor allem auf Persönlichkeitseigenschaften, die wichtig sind, um sich kreativ ausleben zu können wie etwa der Glaube an sich selbst.
Welche Gene für echte Kreativität eine Rolle spielen, haben Wissenschaftler der Universität Helsinki untersucht. In einer Studie, die im Journal PlosOne erschienen ist (4), wollten die Forscher wissen, wie gut die Zwillinge Tonhöhen unterscheiden konnten, wie begabt sie beim Komponieren oder Improvisieren waren. So stießen sie auf ein Gencluster, das mit der musikalischen Kreativität der Menschen zusammenhing. Das Cluster gehört zu einer Gruppe von Genen, die in die Plastizität des Gehirns involviert ist: also der Fähigkeit des Gehirns, sich immer wieder neu zu organisieren, Nervenverbindungen abzubauen und durch neue zu ersetzen. Die Wissenschaftler spürten eine erhöhte Kreativität auch bei Probanden auf, die zwei Kopien eines Genes besaßen, das die Verarbeitung des Neurotransmitters Serotonin beeinflusst. Wirkt sich also Serotonin auf die Kreativität aus? Indirekte Unterstützung bekommen die Ergebnisse der Forscher von einer Studie (5), bei der Wissenschaftler das Nervensystem mit Hilfe der Magnetresonanztomographie dargestellt haben. Sie konnten dabei beobachten, wie bei gesunden Probanden höhere Serotonin-Level (erzeugt durch das Antidepressivum Citalopram) die Verbindungen zwischen Nervenzellen in wichtigen Bereichen des Gehirns erhöhten.
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Quellen:
1. Roeling MP, Willemsen G, Boomsma DI. Heritability of Working in a Creative Profession. Behav Genet. 2017 May;47(3):298-304. doi: 10.1007/s10519-016-9832-0. PubMed
2. Vinkhuyzen AA, van der Sluis S, Posthuma D, Boomsma DI. The heritability of aptitude and exceptional talent across different domains in adolescents and young adults. Behav Genet. 2009 Jul;39(4):380-92. doi: 10.1007/s10519-009-9260-5. PubMed
3. Kandler C, Riemann R, Angleitner A, Spinath FM, Borkenau P, Penke L. The nature of creativity: The roles of genetic factors, personality traits, cognitive abilities, and environmental sources. J Pers Soc Psychol. 2016 Aug;111(2):230-49. PubMed
4. Ukkola-Vuoti L, Kanduri C, Oikkonen J, Buck G, Blancher C, Raijas P, Karma K, Lähdesmäki H, Järvelä I. Genome-wide copy number variation analysis in extended families and unrelated individuals characterized for musical aptitude and creativity in music. PLoS One. 2013;8(2):e56356. doi: 10.1371/journal.pone.0056356. PubMed
5. Kraus C, Ganger S, Losak J, Hahn A, Savli M, Kranz GS, Baldinger P, Windischberger C, Kasper S, Lanzenberger R. Gray matter and intrinsic network changes in the posterior cingulate cortex after selective serotonin reuptake inhibitor intake. Neuroimage. 2014 Jan 1;84:236-44. doi: 10.1016/j.neuroimage.2013.08.036. PubMed