Gemeinsamer Schmerz

15. Jul 2017

Nervenschmerzen haben mit chronischen Schmerzen, die sich in gleich mehreren Körperregionen zeigen, viel gemeinsam. Dazu gehören vielleicht auch die verantwortlichen Gene.

Es gibt Schmerzen, die sind sich selbst genug. Sie haben ihre Funktion verloren und schlagen Alarm, obwohl die Gefahr längst gebannt ist, die Verletzung seit Wochen ausgeheilt ist, die Wunde verschlossen, der Muskel regeneriert. Chronische Schmerzen in mehreren Körperregionen ("Chronic Widespread Pain", CWP) feuern dabei nicht nur an einer Stelle, sondern oben, unten, rechts und links im Körper. Und dann gibt es Nervenschmerzen, die entstehen vor allem, wenn Nerven durch eine Verletzung, eine Operation oder eine Krankheit geschädigt wurden. Manchmal wird dabei das gesamte Nervensystem aus der Bahn geworfen, dann sticht oder brennt es schon bei kleinsten Berührungen oder Temperaturunterschieden.

Beides sind eigenständige Krankheiten, es gibt jedoch Hinweise, dass sie einiges gemein haben könnten. Britische Forscher haben nun in einer Untersuchung an tausenden Zwillingen nach den Verbindungen zwischen den Leiden gesucht (1). Die Wissenschaftler um William Frances vom Londoner King´s College entdeckten unter Zwillingen mit CWP auffällig viele mit Nervenschmerzen. Mediziner sprechen dabei auch von Neuropathischen Schmerzen. Außerdem fanden sie Hinweise darauf, dass nicht nur die gleichen Erbgutanlagen zumindest zum Teil für die Krankheiten verantwortlich sein könnten, die Leiden teilen sich auch bestimmte Risikofaktoren wie Rauchen, fortgeschrittenes Alter oder Übergewicht.

Für Ihre Untersuchung arbeiteten die Forscher mit TwinUK, dem größten Register für eineiige und zweieiige Zwillinge in Großbritannien und Nordirland. 12000 Zwillinge sind dort registriert mitsamt ihren Gesundheitsdaten und Informationen über ihren Lebensstil. Für Forscher, ein Datenpool von unschätzbarem Wert. Mit ihrer Hilfe haben Frances und seine Kollegen nun untersucht, ob CWP und neuropathische Schmerzen auffällig oft zusammen auftreten. Dazu verschickten sie tausende Fragebögen an die Zwillinge, in denen sie nach typischen Symptomen gefragt wurden. Die Forscher fanden 636 Zwillingen mit CWP. Davon litten rund 16 Prozent mit großer Wahrscheinlich auch an neuropatischen Schmerzen. Das sind doppelt so viele wie in der Normalbevölkerung. Denn dort kommen Neuropathische Schmerzen mit sechs bis acht Prozent deutlich seltener vor.

Wie aber kommt es zu dieser Verbindung? Vielleicht werden beide Krankheiten durch die gleichen Risikofaktoren begünstigt, so die Vermutung der Forscher. Als sie die Daten aus dem Register auswerteten, stießen sie tatsächlich auf viele Übereinstimmungen: Raucher, Übergewichtige, ältere Menschen und vor allem Frauen erkrankten besonders häufig sowohl an CWP wie auch an neuropathischen Schmerzen. Auch der soziale Status scheint eine Rolle zu spielen. Um so höher er ist, um so kleiner das Risiko für beide Schmerzarten. Spezifisch sind diese Faktoren allerdings nicht. Rauchen und Übergewicht etwa gelten auch als Risikofaktor für die Entwicklung von anderen chronischen Schmerzen.

Als nächstes verglichen die Forscher die genetisch identischen eineiigen Zwillinge mit den zweieiigen, die sich nur 50 Prozent ihres Erbgutes teilen. So wollten sie herausfinden, welche Rolle die Gene bei der Entwicklung von neuropathischen Schmerzen spielen. Erkranken unter den eineiigen besonders viele Zwillingspärchen, dann sind dafür vor allem die Gene verantwortlich. Zwar war die Gruppe der Zwillingspärchen mit CWP und neuropathischen Schmerzen recht klein. Als die Forscher die Daten jedoch mit einer speziellen Software auswerteten, kamen sie zu dem Schluss, dass der Einfluss des Erbguts bei etwa einem Drittel liegt. Umweltfaktoren sind danach für zwei Drittel der Unterschiede verantwortlich. Außerdem ließen ihre Ergebnisse vermuten, dass einige genetische Faktoren, die Nervenschmerzen zugrunde liegen, die gleichen sind, wie bei CWP, so die Wissenschaftler. Das müssen nun weitere Studien bestätigen.

Andere Forschergruppen haben bereits genetische Varianten ausfindig gemacht, die bei neuropathischen Schmerzen eine Rolle spielen und solche, die CWP verursachen könnten. Einer der nächsten Schritte sollte daher auch sein zu schauen, wo es Überlappungen zwischen diesen Genen gibt, schreiben die Forscher.

Copyright © 2016-2017 Nicole Simon / Paul Enck. Alle Rechte vorbehalten.


Quellen:

1. Momi SK, Fabiane SM, Lachance G, Livshits G, Williams FM. Neuropathic pain as part of chronic widespread pain: environmental and genetic influences. Pain. 2015;156:2100-6. [PubMed]


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